YOGA SUTRA

von

PATANJALI

Kommentare
von
Ananda Mandala



Vorwort

Patanjalis Yoga Sutras sind wohl eine der bedeutendsten Schriften. Sie bilden eine fundierte Anleitung zur Selbstverwirklichung und zeigen die Landkarte des Geistes. Dabei bestechen Sie durch eine faszinierende Klarheit. Es ist nicht die Art von Buch oder Schrift, die man einmal liest und dann wieder beiseite legt, es ist viel mehr der Grundleitfaden für spirituelle Entwicklung, der einen ein Leben lang begleiten kann und manchmal wachsen einige Verse, die man beim ersten Lesen noch nicht verstanden hat, im Laufe der spirituellen Entwicklung mit einem mit und offenbaren neue Geheimnisse. So gibt das Yoga-Sutra Schicht für Schicht immer tiefere Bedeutungen preis. Obwohl man die Yoga Sutras durchaus zu den religiösen Schriften zählen kann sind sie doch bei genauer Betrachtung höchst wissenschaftlich. Egal welcher spirituellen Richtung Jemand folgt, sofern eine solche wirkungsvolle Technicken hat den Geist und das Bewußtsein zu schulen, wird er die Grundprinzipien hierzu im Yoga Sutra wiederfinden. Bei genauer Betrachtung der Sutras findet man hier die Schlüssel zum Hinduismus, ebenso wie zum Islam, zum Christentum oder jeder anderen Religion bis hin zur modernen Quantenphysik. Es gibt eben nur eine Wahrheit, aber viele Arten diese zu betrachtetn und das Yoga Sutra kann einen verbindenden Schlüssel zu allen darstellen.

Mittlerweile gibt es viele übersetzungen der Yoga Sutras, warum also noch eine? Ersteinmal ist jede Sanskritübersetzung ein wenig anders und jeder Schreiber hat seine Leser. Manche übersetzungen wurden von nicht Yogakundigen gemacht und interpretieren die Urverse daher nicht aus dem Licht der praktischen Erfahrung. Das Sanskrit bietet eine faszinierende Bedeutungstiefe und weist viele Begriffe auf, für die wir in unserer Sprache eigentlich nicht wirklich ein passendes Wort haben. Deswegen weichen die übersetzungen oft etwas voneinander ab, da Begriffe nur umschrieben werden können und verschiedene übersetzer andere Nuancen der Sprache wahrnehmen, manchmal sogar mißverstehen. Sanskrit sollte man lernen wie ein Kind eine Sprache lernt, nicht wie ein Erwachsener. Ein Erwachsener will meist ein einfaches Wort seiner Muttersprache als Synonym für das Wort in einer anderen Sprache haben und leider wird oft auch nach diesem einfachen Schema übersetzt. Solche übersetzungen sind natürlich nahezu wertlos. Dadurch gehen dem Text oft wichtige Bedeutungen und Zusammenhänge verloren. Noch komplizierter wird es, wenn ein Begriff da ist, den wir vorher aufgrund unserer Entwicklung noch gar nicht verstehen können, weil wir in unserer Sprache dazu gar kein Wort haben, dann ist es für die Authenzität des Textes nicht grade förderlich diesen dann mit irgendeinem Wort darzustellen, welches nur notdürftig passt. In diesem Zusammenhang ist es auch faszinierend wie Sprache unsere Wahrnehmung definiert. Ein Wort richtig zu lernen kann ein richtiges Abenteuer sein. Eine bewußtseinserweiternde, sehr bereichernde Erfahrung. Genau hier unterscheidet sich dieses Werk nun. Denn Sie finden hier nicht nur die ursprünglichen Verse in der Devanagari Schrift, sondern auch die einzelnen Wort für Wort übersetzungen in verschiedensten Nuancen und ein komplettes Sanskrit-Glossar, wo sie alle Begriffe einzeln nachstudieren können. Auf die Art können sie tiefer in die Querverbindungen und Struktur der Sanskritsprache einsteigen. Besonders für Sanskritlernende ist es eine Hilfestellung die Sutras in ihrer ursprünglichen Form verstehen zu lernen. Aber selbst für Diejenigen, die nun nicht gleich Sanskritprofessoren werden wollen stellt es einen einfachen Weg dar sich ein Verständnis der Sutras zu erarbeiten.

Das Yoga Sutra gliedert sich in vier Teile. Der Samadhi Pada, der Sadhana Pada, der Vibutti Pada und der Kaivalya Pada. In dieser Onlineversion wird nur die Samadhi Pada behandelt. Sie setzt sich auseinander mit den geistigen Prozessen zur Erlangung der ersten Samadhistufen. Die Sadhana Pada vertieft die Beschreibungen zur Übung, die Vibutti Pada setzt sich mit den Siddhis auseinander, den sogenannten Übernatürlichen Fähigkeiten, die sich im Laufe der Übung einstellen können. Selbstverständlich sind diese nicht wirklich übernatürlich, sondern werden dem nicht geschulten Geist lediglich vorenthalten oder gar durch gesellschaftliche Erziehung im Rahmen des schulweisheitlichen Drills aberzogen. Im Yoga werden sie keineswegs als etwas Sensationelles empfunden, es wird vielmehr sogar darauf hingewiesen, dass sie sich auch als Hindernisse auf dem Weg erweisen können, wenn man ihnen zu viel Bedeutung beimisst. Die Kaivalya Pada schließlich befasst sich mit der letzten geistig-seelischen Befreihung, dem Dharma-Mega-Samadhi, der totalen Erleuchtung.



atha yoga anushashanam - 1

Hiermit beginnt die Praxis des Yoga - 1

Dieses Sutra soll den Geist für die Beschäftigung mit den folgenden Sutren vorbereiten. Es ist wie wenn man eine Tür öffnet und einen neuen Raum betritt. Es sagt uns hör zu, sei wachsam, was auch immer bis eben war ist unwichtig, denn jetzt lernen wir Yoga. Anu ist ein Präfix, welches auf eine Folge von etwas vorangegangenem hinweist. Anushasanam bedeutet also sinngemäß: die Tradion der Yogalehre. Hiermit also mit dem ersten Sutra beginnt die Fortsetzung der Yogatradition, durch den der es liest. Es ist die Botschaft aller vorangehenden Meister, der nicht inkarnierten und der inkarnierten an diejenigen, welchen dieses Sutra vorgetragen wird.

  • atha = Jetzt, in diesem vorteilhaften Augenblick
  • yoga = Vereinigung
  • anu = in, der Tradition folgend, „anu“ beinhaltet die Folge von etwas Vorangegangenem
  • shasanam = Instruktion, Lehre, Erklärung

    chitta vritti nirodah - 2

    Yoga ist das zur Ruhe kommen aller geistigen Bewegungen - 2

  • yoga = Vereinigung
  • chitta =Bewusstsein
  • vritti = Bewegungen, Veränderungen im Bewusstseinsfeld
  • nirodhah = Kontrolle, Beruhigung, zur Ruhe kommen

    Die Silbe Cit bedeutet so viel wie wahrnehmen, verstehen, aber auch denken. Chitta bezeichnet den Geist, dass Bewusstsein. Dieser an sich in seiner wahren Natur ist klar, er wird jedoch nicht als klar erfahren, solange er ergriffen wird durch die Gedankenprozesse. Das Wort Vritti stammt ab von der Sanskritwurzel VR, die soviel bedeutet wie umhüllen, verbergen. Man könnte Citta-vritti auch übersetzen mit „die Umhüllungen des Geistes“. Im übernächsten Sutra werden wir erfahren, wie die Vrittis das Chitta umhüllen und damit zu verzerrten Wahrnehmung des Selbst führen. Ein durch Vrittis beeinflusster Geist ist vergleichbar mit einem Teich von dessen Grund eine Menge Schmutz aufgewirbelt wurde. Man kann nicht auf seinen Grund schauen. Nicht etwa weil das Wasser an sich nicht durchsichtig wäre, sondern weil durch die heftigen Bewegungen am Grund so viele Schmutzpartikel aufgewirbelt wurden. Dies sind die Vrittis. Mit Vrittis werden unruhige Aufwirbelungen von Energien im Denkorgan bezeichnet. Man kann auch von Gedankenwellen sprechen, welche in der Regel aus vergangenen Prägungen stammen, die in der Gegenwart aufgewirbelt werden und verhindern, dass der Geist zur Ruhe und Klarheit genießt. Der kleine Plappermann im Kopf, der dann nicht ruhig sein will. Erinnerungen die Auftauchen, da sie nicht verarbeitet wurden. Das was einige Leute beispielsweise dazu bewegt Selbstgespräche zu führen, oder sich über Dinge aufzuregen sind Chitta Vrittis. Nirodha kann mit zurückhalten, kontrollieren, aber auch mit zerstören oder auflösen übersetzt werden. Alle Varianten sind Nuancen des einen Wortes, für welches wir in der deutschen Sprache mehrere Wörter brauchen. Im Yoga gibt es eine Reihe von übungen, um die Citta Vrittis zur Ruhe zu bringen. Man lernt die ewig auftauchenden Gedankenbewegungen mit Hilfe einer Technik zu kontrollieren, zurückzuhalten, bis sie sich schliesslich auflösen und der Geist von den ständigen Fluktuationen des Denkens befreit ist, um die Wahrheit klar wahrzunehmen. Die im Hatha Yoga bekannten Körperübungen sind dabei in der Regel nur Vorbereitungsübungen auf die richtige Meditation. Sie sollen dazu dienen, dass der Körper selbst nicht zu einem Störfaktor wird der Citta Vrittis aufwirbelt. Wenn jemand beispielsweise Schmerzen oder Haltungsschäden hat, so könnte ihn dies sonst von einer guten Meditation ablenken. Ruhig zu sitzen und den Geist zur Ruhe kommen lassen. Dies ist vergleichbar mit dem zur Ruhe-Kommen des Teichwassers welches wir Anfangs als Beispiel nahmen. Wenn dieses Wasser nicht weiter aufgewirbelt wird, dann werden ganz automatisch nach und nach die Schmutzpartikel wieder auf den Boden absinken. Dann wird das Wasser klar, so dass man bis auf den Grund schauen kann.


    tada drashtu svarupe'vasthanam - 3

    Dann ruht der Seher in seinem wahren Selbst. - 3

    • tada = dann, zu dieser Zeit • drashtuh = Der Seher • svarupe = in der eigenen Form; (sva = eigene; rupa = Form) • avasthanam = Stabilität, Verweilen, in einem Zustand sein; die Wurzel stha bedeutet stehen

    Hier nun wird beschrieben was passiert, wenn Yoga wirklich gemeistert wird. Nämlich dann wenn die im vorigen Vers beschriebenen Citta Vrittis zur Ruhe kommen. Der wahrnehmende Geist, der Seher (Drashtu) nimmt seine wahre Form wahr und findet in ihr unendlichen Frieden. Er ruht in dieser wahren Form (svarupesvastanam). Mit Svarupe ist hier nicht eine pysisch sichtbare Form gemeint, sondern die geistige Urform. Ein geistiger Zustand also, der sich nicht auf eine körperliche Form (Svarupa) bezieht, sondern auf die formlose Form des Selbst.


    vritti saru pyam itaratra - 4

    Anpassung (des sehenden Bewusstseins) an die Operationen anderswo (in anderen Bewusstseinszuständen) -4

    • vritti = Bewegungen, Veränderungen im Bewusstseinsfeld
    • sarupyam = mit der Form, angepasst an die Form
    • itaratra = anderswo, zu anderen Zeiten

    In allen anderen Bewusstseinszuständen passt sich das Citta an die Form der Vrittis an. Das bedeutet der Geist nimmt die Färbung der Gedankenbewegungen an mit denen er sich auseinandersetzt und identifiziert sich sogar damit. Auch hier kommt die Abstammung von der Wurzel Vr sehr gut zur Geltung. Die Vrittis erschaffen eine grobe Form, der sich das Chitta anpasst. Ein Mensch der wütend ist kann die wahre Form des Geistes nicht wahrnehmen, sein Chitta wird durch die Vrittis derart aufgewirbelt, dass er nur Unruhe und Unrecht wahrnimmt. Ebensowenig sieht ein Mensch der Kummer oder Trauer erfährt die wahre Form seines Selbst. Die Chitta Vrittis ziehen ihn herunter und führen dazu, dass sein Chitta sich mit der Widrigkeit unausweilchlich scheinender Situationen identifiziert. Aber auch andere Zustände, wie überschwängliche Freude, Fanatismus oder alle anderen Energieäußerungen führen zu einer Anpassung des Bewußtseins an diese, so das die wahre Urnatur dadurch verhüllt wird.


    Vritaya pancatayya klishta-aklishta - 5

    Die Bewegungen des Geistes sind fünffach, schmerzvoll und nicht-schmerzvoll -5

    • vrittayah = Die BewegungenVeränderungen des Bewußtseins sind • pancatayah = fünffach • klishta = schmerzvoll • aklishta = schmerzlos prefix a- bedeutet ohne, oder in Abwesenheit von Nun erfahren wir mehr über die Natur und Funktionsweise der Vrittis. Die Gedankenwellen treten der Yogalehre nach in Fünf Grundformen auf, die voller schmerzlicher Spannungen oder eben ohne schmerzliche Spannungen sein können, also schmerzvoll und nicht-schmerzvoll.


    pramâna-viparyaya-vikalpa-nidrâ-smrtayah - 6 -

    Reale Wahrnehmung, Täuschung, Fiktion, Schlaf und Erinnerung – 6

    • pramana = reale Wahrnehmung • viparyayah = unwirkliche Wahrnehmung, nicht klar sehen • vikalpah = Imagination, Fantasie, Halluzination • nidra = Schlaf • smritayah = Erinnerung In diesem Vers erfolgt eigentlich nur eine Aufzählung der Ausdrucksformen der Vrittis, auf die im Einzelnen noch eingegangen wird. Wir sehen, dass all diese Erscheinungen, wie im vorherigen Sutra beschrieben schmerzvoll oder schmerzlos sein können. Eine Erinnerung kann uns erfreuen oder leidvoll sein, dadurch dass sie uns an vergangenes Leid erinnert. Genauso verhält es sich mit Fantasie und unwirklichen Wahrnehmungen. Man kann einem Irrtum erliegen der einen glücklich macht oder unglücklich macht, es bleibt ein Irrtum. Auch die reale Wahrnehmung kann freudig oder leidvoll sein. Eine Ausnahme scheint der Schlaf zu bilden. Aber wenn man den Traum als Bestandteil des Schlafens akzeptiert muß man mindestens akzeptieren, dass man Alpträume oder Glücksträume haben kann. Im hier gemeinten Sinne ist Schlaf aber wohl mehr das völlige Fehlen von Bewußtseinswahrnehmung, womit wir Träume unter Vikalpah einordnen müssten.


    pratyaksha-anumâna-agamâh pramânâni - 7 -

    Wahrnehmung, Schlussfolgerung und verbale Wahrnehmung (überlieferung) sind die wahren Wahrnehmungen – 7

    • pratyaksha = direkte Wahrnehmung • anumana = Schlußfolgerung • agamah = Authorität, Behauptung, überlieferung • pramanani = reale Wahrnehmungen, die Beweise, Quellen authentischen Wissens

    Hierzu ist zu sagen, dass eine Schlussfolgerung natürlich nur dann zu den realen Wahrnehmungen gezählt werden kann, wenn die ihr zugrundeliegenden Umstände und Daten realer Wahrnehmung entsprechen. Wo wir vor einem anderen philosophischen Problem stehen. Das ist die Frage, was ist eigentlich real? Im Feld der Chitta-Vrittis ist alles nur temporär! Das bedeutet das die einzige wirklich reale Wahrnehmung gemäß des Yoga, die Wahrnehmung dessen ist was ewig und unveränderbar ist. Dies ist das Selbst, welches Ursprung und Inhalt aller Dinge ist. Im Relativen ist jede Wahrnehmung zugleich eine Täuschung bedingt durch die Konstitution des Beobachters, seinen Blickwinkel und die Ausrichtung seiner Aufmerksamkeit auf das Wahrgenommene in Verbindung mit dessen Struktur. Man kann sich beispielsweise ein Gebäude betrachten. Nehmen wir an es ist ein sehr altes Gebäude mit einer langen Geschichte, wie beispielsweise ein Tempel. Wenn wir dieses Gebäude betrachten können wir sagen es sei real, doch es ist nicht real, da es nicht ewig ist. Wir können beginnen über dieses Gebäude zu reflektieren, etwa über die in das Gemäuer eingelassenen Skulpturen und Figuren und das was sie uns über die Vergangenheit und die Erbauer des Tempels sagen. An diesem Punkt nun können wir Schlußfolgerungen über diese Menschen ziehen, die möglicherweise schon Irrtümern unterliegen und nicht ganz den Tatsachen entsprechen. Wenn wir in die Zukunft blicken, dann werden wir aber zu dem Schluß kommen, dass irgendwann einmal eine Zeit sein wird, wo das Gebäude nicht mehr da sein wird, weil es dem irdischen Verfall unterworfen ist, oder aber auch vor seinem eigenständigen Verfall abgerissen wird, um einen anderen Bauwerk oder einem Park platz zu machen. Wie Jesus einst so schön sagte: Es wird eine Zeit kommen wo hier kein Stein mehr auf dem anderen sein wird. Eine wundervolle ewige Wahrheit. Wo ist nun die Realität des Gebäudes eigentlich? Es ist nur eine temporäre Realität und auch immer nur die des Betrachters. Ein anderer Betrachter mag den gleichen Tempel vielleicht von einer anderen Seite und mit anderem Hintergrundwissen anschauen und dadurch zu ganz anderen Eindrücken und Schlußfolgerungen kommen.


    viparyayo mithya-jñânam atad-rûpa-pratishtam - 8

    Falsche Wahrnehmung ist ein falsches Wissen, welches auf einer Erscheinung basiert, die nicht der Natur der eigentlichen Sache entspricht. -8- • viparyayah = falsche Wahrnehmung, Missverständnis, nicht klar erkennen, falsches Wissen • mithya = illusorisch, fehlerhaft, vom unwirklichen, vom falschen • jnanam = Wissen, wissend • atad = nicht das, nicht sein Selbst • rupa = Form, Natur, Aussehen • pratistham = Basierend auf, Stellung, unerschütterlich Solange das Bewußtsein nicht geklärt ist können viele falsche Wahrnehmungen auftreten. Ein blendendes Beispiel wäre die Tätigkeit eines Bühnenzauberers, welcher Illusionen erzeugt indem er absichtlich falsche Wahrnehmungen hervorruft. Doch hinderlicher sind die falschen Wahrnehmungen von denen wir nicht wissen, denn in einer Zirkusvorstellung wissen wir ja im Grunde, dass wir getäuscht werden. Es macht uns nichts aus, im Gegenteil wir finden es unterhaltsam. Anders ist es mit den Täuschungen die wir nicht wollen. Viele Menschen vermuten beispielsweise oft Dinge über andere Menschen oder die Welt im Allgemeinen. Diese Dinge haben dann manchmal nichts mit dem zu tun, was diese anderen Menschen glauben, denken, fühlen oder wollen, oder der Welt wie sie ist. Es sind einfach nur Vermutungen und Projektionen der Menschen, die eine falsche Wahrnehmung über diese anderen Menschen oder die Welt haben. Auch Vorurteile gehören zu den falschen Wahrnehmungen. Wenn jemand beispielsweise davon überzeugt ist, dass alle Menschen, die einer bestimmten Personengruppe angehören die gleiche Eigenarten oder Fehler haben müssen. Sowas wie alle Menschen die eine dunkle Haarfarbe haben sind –was auch immer-. Alles was diese Menschen als Gruppe vereint ist wirklich nur, dass sie eine dunkle Haarfarbe haben, die andere Hälfte einer solchen Behauptung also wäre eine falsche Wahrnehmung, ausgenommen sie bezieht sich ursächlich auf die Hautfarbe. In diesem Beispiel wäre die Aussage alle Menschen mit dunkler Haarfarbe haben eine andere Pikmentierung der Haare als Hellhaarige natürlich richtig. In der Geschichte von dem Seil und der Schlange sehen wir wie gefährlich falsche Wahrnehmung manchmal sein kann. In dieser Geschichte hält ein Wanderer sich in einer Höhle auf. Er traut sich nicht herauszugehen, da er vor dem Eingang eine Schlange liegen sieht. So verweilt er lange Zeit in der Höhle. Als er hinter sich das Brüllen eines Löwen aus dem Höhleninneren hört kommt er in Bedrängnis. Soll er sich lieber von der Schlange beißen, oder vom Löwen anfallen lassen? Vielleicht ist es keine Giftschlange, vielleicht schafft sie es auch nicht ihn zu beißen, wenn er schnell genug ist. Er entschließt sich mutig über die Schlange hinwegzuspringen. Dabei erkennt er aufeinmal, dass es gar keine Schlange war die dort lag, sondern nur ein Seil. Nur wegen eines Seils hatte er also tagelang in einer Höhle gesessen und sich nicht getraut herauszukommen. In diesem Beispiel wird der Inhalt des Sutras deutlich. Die Wahrnehmung als solche war eigentlich nur die von etwas was schlangenförmig auf dem Boden lag, aber die Interpretation des Wanderers in unserem Beispiel machte diese Wahrnehmung zu einer falschen Wahrnehmung. Denn er glaubte, dass dort eine Schlange lag. Hier entsprach die Erscheinung nicht der Natur der eigentlichen Sache. Da es sich ja nur um ein Seil handelte. Auch wußte der Wanderer nicht, dass das Brüllen des Löwen nur von meinem Kassetenrekorder abgespielt wurde, um den Wanderer aus meiner Höhle zu verjagen. Derartige „Seile“ finden sich oft viele in unserer Art die Welt zu interpretieren. Dinge sind oft etwas völlig anderes als wir denken. Situationen haben oft andere Ursachen und Gründe als wir vermuten. Die Befangenheit in der eigenen Begrenztheit macht die meisten Menschen geneigt nur ihre eigene Version und Interpretation der Welt als Wahrheit zu akzeptieren. Doch viel davon würde sich bei genauer Prüfung wie in obiger Geschichte als etwas anderes enthüllen. Mit Mut können wir viele falsche Schlangen als Seile entlarven. XaBdjaNaaNauPaaTaI vSTauXaUNYaae ivk==LPa: )) 9 )) Shabdajnananupati vastushunyo vikalpah – 9 Fiktion ist eine reine Idee ohne materielle Existenz- 9 • shabda = Wort, Klang • jnana = durch Wissen, wissend • anupati = folgend, in der Folge, abhängen von • vastu = eine Wirklichkeit, realer Gegenstand, existent • shunyah = leer • vikalpah = Fantasie, mündliches Mißverständnis, Wahnvorstellung, Halluzination Eine Fiktion ist eine Idee die nicht wirklich exisitiert, sie hat keine Wohnstadt in der Realität. Oft entstehen Fiktionen aus falschen Wahrnehmungen. Manchmal aber auch freiwillig, um den Geist zu unterhalten. Romane, Geschichten und Filme sind in der Regel nichts weiter als Fiktionen. Comicfiguren und Fantasiehelden sind Fiktionen. Sie haben keine reale Existenz in der objektiv in Erscheinung tretenden Welt, ausser eben innerhalb ihrer Beschränkung als Fantasiefigur. Eine Fiktion kann dennoch Gutes in sich tragen und Einfluß nehmen auf die materielle Welt. Etwa durch Inspiration, manchmal sind Romane und Geschichten auch sehr lehrreich. Sie müssen nicht immer genau so passiert sein, die Figuren können frei erfunden sein und uns dennoch zu Ahaerlebnissen führen. Wenn diese fiktiven Geschichten auch nicht völlig der Realität entstammen, so sind es doch in der Regel von realen Erfahrungen abstammende verzerrte Ausdrucksformen. Ohne Inspiration keine Expiration. A>aavPa]TYaYaal==MbNaa v*itaaRNad]a )) 10 )) Abhavapratyayalambana vritinidra – 10 - Schlaf ist eine mentale Operation, welche die Wahrnehmung von Abwesenheit im Mittelpunkt hat. -10- • abhava = Nichtzustand, Abwesenheit, Nichtexistenz, Negation, Nichterscheinen, Nichts, Lücke • pratyaya = überzeugung, verfestigter Glaube, Konzept, Begriff, Boden, Ursache, Mittel der Tätigkeit, ein Instrument, Vertrauen, überzeugung, Idee, Berühmtheit, Ruhm, Renommee, ein Eid, ein Verbrauch, übung, ein Loch, Intellekt, Verstehen, Siegelring, Siegel, das Gefühl, Kausal oder Kognitionsprinzip, Inhalt des Verstandes, präsentierte Idee, Wahrnehmung • alambana = Unterstützung, Substratum, abhängen von, als Basis oder Grundlage haben • vritti = operationen, Aktivitäten, Fluktuationen, Veränderungen, oder die verschiedenen Formen des Bewußtseinsfeldes. • nidra = tiefer Schlaf Nichtsein ist der Bewußtseinsinhalt in welchem die mentalen Operationen schlafen. Als Schlaf wird hier ein Zustand definiert, der die Abwesenheit jeglicher Wahrnehmung bedeutet. Kein Sinnesobjekt wird wahrgenommen. Keine Chitta-Vrittis. Man könnte meinen ein Ziel des Yogas sei hier schon erreicht, da in diesem Zustand ja keine Citta Vrittis auftauchen, aber der Unterschied ist die Wachheit des yogischen Bewußtseins. Yoga ist das Bewußtsein, dass niemals schläft! Im Schlaf kommen aber nicht nur die Citta Vrittis zur Ruhe, der Wahrnehmde verliert dabei auch das Bewußtsein seiner Existenz. Der yogische Schlaf ist anders, denn in ihm wird das Bewußtsein auch im Schlaf aufrecht erhalten. ANauMaUTaivZaYaaSa&Pa[MaaeZa: SMa*iTa: )) 11 )) Anumutavishayasampramoshah smritih – 11 Erinnerung ist das Fehlen des Verlustes der erfahrenen Sinnesobjekte – 11 • anubhuta = erfahren • vishaya = Objekte der Erfahrung, Eindrücke • asampramoshah = nicht gestohlen werden, nicht verloren gehen • smritih = Erinnerung, erinnern Eine Erinnerung kann im Geist oft als sehr real erscheinen. Sie hat im Jetzt aber nicht mehr bestand, als ihr durch die Kraft der eigenen Aufmerksamkeit gegeben wird. Sie ist das wiederaufgreifen einer Prägung, welche in der Vergangenheit erzeugt wurde. Einzig real ist nur das Jetzt. Es gibt keine Vergangenheit ausser in der Erinnerung und das was im Jetzt von der Vergangenheit übrig geblieben ist, ist ihr Schatten in Form von Prägungen. Diese Prägungen werden Samskaras genannt. A>YaaSavEraGYaa>Yaa& Tai}araeDa )) 12 )) abhyasa vairagyabhyam tat nirodhah– 12 Durch übung im Nichtverhaftetsein erlangt man Meisterschaft (über den Geist) – 12 • abhyasa = durch übung • vairagyabhyam = Nichtverhaftetsein, Wunschlosigkeit, Neutralität oder farblosigkeit, ohne Anziehung oder Abneigung • tat = von diesem, durch dieses von • nirodhah = Kontrolle, Regulation, Kanalisieren, Meisterschaft, Integration, Koordination, Verstehen, beruhigen, beiseite setzen von Verhaftung ist Bindung und Bindung erzeugt Abhängigkeit. Wenn man sich an einen Zustand bindet, dann ist Meisterschaft über den Geist nicht mögich, da der Geist auf den Zustand oder Umstand fixiert ist. Verhaftet sein muß nicht bedeuten, dass der Zustand erfüllend ist! Man kann auch an negative Dinge verhaftet sein. Jemand kann im größten materiellen Reichtum leben und nicht Verhaftetsein, ebenso kann ein Bettler völlig dem Verhaftetsein obliegen. Einzig entscheident ist die mentale Haltung. Viele Leute meinen sie brauchen Dies oder Jenes, um ihr Glück zu finden. Sie projektieren praktisch im Geist einen im Jetzt nicht existierenden Umstand auf ihr Glück und erklären sich so, dass sie nicht glücklich sind. Doch die einfache Wahrheit ist, sie sind nicht glücklich weil sie nicht glücklich sind, nicht weil der entsprechende Umstand nicht da ist. Da können Gedanken sein wie, ich müsste nur eine Million im Lotto gewinnen, dann wäre ich glücklich. Ich müsste nur eine schöne Frau oder einen schönen Mann finden, die oder der mich heiratet, dann bin ich glücklich. Ich müsste nur das tolle Auto haben, das Haus, das Boot, das Grundstück, die Beförderung. Es gibt so viele Verhaftungen die da möglich sind, doch keine von Ihnen macht wirklich glücklich, wenn man nicht glücklich ist. Wenn man glücklich ist macht alles Spaß. Für einen kurzen Augenblick ist das neue Auto eine Sensation, tatsächlich mag man temporär ein kleines Hochgefühl erfahren, aber kaum fährt man es ein paar Wochen, ist es einfach nur ein Auto. Kaum wohnt man ein Jahr in seinem Haus, ist es auch nur ein ganz normaler Ort an dem man lebt. Wenn man keinen Frieden in seinem Herzen hat und kein Glück im Bewußtsein trägt durch die wahre Erkenntnis, dann sind all diese Dinge lediglich Hindernisse. Nichtverhaftetsein ist eine gute übung den Geist von den falschen Versuchungen des Alltags abzuhalten. Ta}a iSQaTaaE YaTNaae_>YaaSa: )) 13 )) Tatra sthitau yatnobyasah – 13 Dort (erlangt man) stabile Gelassenheit durch beharrliche Anstrengung in der übung – 13 • tatra = von diesen beiden ( bezieht sich auf abhyasa and vairagya) • sthitau = Stabilität, beständige Ruhe, unbeeinträchtigte Stille • yatnah = Bemühung, hartnäckige Anstrengung, nachhaltiger Kampf • abhyasa = durch oder mit übung, wiederholte Praxis Dort im Nichtverhaftetsein stabilisiert sich nach und nach die Gelassenheit. Nichtverhaftetsein führt zu Gelassenheit, da man jeder Situation mit Gleichmut begegnet. Im Nichtverhaftetsein spielt es keine Rolle für das Gemüt wie eine äußere Situation sich entwickelt, man nimmt es wie es kommt. An oberster Stelle steht die Wahrnehmung des Selbst und das verweilen im Zustand von Sat Cit Ananda (Sein, Bewußtsein, Glückseeligkeit). Sa Tau dIDaRk===al==NaErNTaYaRSaTk===araSaeivTaI d*!>aUiMa: )) 14 )) sah tu dirgha kala nairantaira satkara asevitah dridha bhumih – 14 Diese Sinnenkontrolle geübt für eine lange Zeit ohne Unterbrechung und mit Hingabe wird zu einer stabilen Grundlagen. – 14 • sah = diese (Praxis) • tu = und, aber, wie auch immer • dirgha kala= lange Zeit • nairantaira = ohne Unterbrechung, kontinuierlich • satkara = mit Hingabe, Aufrichtig, Respekt, Verehrung, positive Haltung, richtige Aktion • asevitah = ausgeübt, kultiviert, beachtet, getan mit eifriger Aufmerksamkeit • dridha-bhumih = stabil, solide Grundlage, fest verwurzelt, vom festen Boden Wenn man lange Zeit seinen Geist auf die beschriebene Art und Weise trainiert, erlangt man Stabilität in allen Lebenslagen. Wichtig hierbei ist allerdings auch ein Gleichgewicht zu erlangen. Totales Nichtverhaftetsein endet zwangsläufig in Gleichgültigkeit gegenüber allen äußeren Umständen. Das ist zwar immernoch besser als unter äußeren Umständen zu leiden, kann aber im Lebenswandel tötlich werden, wenn wir vor lauter Nichtverhaftetsein vermissen die zum überleben notwendigen Dinge zu verrichten. Das Nichtverhaftetsein sollte sich immer in dem Moment einstellen, in welchem wir eine Sache nicht ändern können. Wenn beispielsweise etwas schief gegangen ist und unsere Pläne durchkreuzt, dann sollten wir in diesem Moment unseren eigenen Plan gegenüber losgelöst genug sein darüber nicht in Aufregung, ärger oder Frustration zu verfallen. Wir nehmen es einfach so hin und sehen die Situation als einen neuen Ausgangspunkt. Jetzt können wir vielleicht den Fehler nicht rückgängig machen, der schon passiert ist, aber wir können es vielleicht nochmal probieren ohne Fehler, oder wir machen was anderes. Durch diese Art des Nichtverhaftetseins entsteht nicht nur eine Freiheit und heitere Gelassenheit gegenüber jeder Situation, sondern es entwickelt sich dadurch auch eine sehr hohe geistige Flexibilität. d*Z#==aNauV}aivk==ivZaYaivTa*ZaNaSYa vXaIk==arSa&ja vEraGYaMa( )) 15 )) drista anushravika vishaya vitrishnasya vashikara sanjna vairagyam -15 Wer frei ist vom Begehren nach sichtbaren Objekten oder überlieferungen einer Tradition erlangt durch absolute Kontrolle des Bewußtseins das absolute Nichtverhaftetsein -15- • drista = gesehen, wahrgenommen • anushravika = aufgedeckt, schriftmäßig, gehört in der Tradition • vishaya = Objekte, Subjekte, Angelegenheiten der Erfahrung • vitrishnasya = von einem, der vom Wunsch oder heftigen Verlangen frei ist • vashikara = Oberst, Beherrschung, Gesamtsteuerung • sanjna = Bewußtsein, wissend, Wahrnehmung • vairagyam = Nichtverhaftetsein, Wunschlosigkeit, Neutralität oder Abwesenheit von Färbung, ohne Anziehung oder Abneigung Im Zustand des Nichtverhaftetseins ist das Citta auf das wahre Selbst gerichtet und davon so erfüllt, dass es nicht nach äußeren Genüssen strebt. Seien diese nun abgeleitet aus dem Genuß von sichtbaren Sinnesobjekten, oder aus den schriftlichen überlieferungen. Denn auch eine Verhaftung an mentale Genüsse kann hinderlich sein. Mentale Genüsse sind vielleicht bestimmte Eigenschaften die in den Schriften bestimmten Bewußtseinszuständen zugeschrieben werden. Oder ein geistiges Konzept an dem man Vergnügen finden mag, wie beispielsweise die Vorstellung unsterblich zu sein, wiedergeboren oder eben nicht wiedergeboren zu werden. Viele große spirituelle Lehrer waren ihrer eigenen Religion verhaftet und intollerant gegenüber anderen Glaubenslehren. Sie wollten ihren Glauben als den einzig wahren geltend machen. Genau darauf spielt dieses Sutra an. Erst wenn man sich von all diesen äußerlichkeiten löst erlangt man wirklich den Zustand totaler Nichtverhaftung. In der praktischen Konsequenz jedoch ist jemand der total nicht verhaftet ist im Grunde tot oder auf dem direkten Weg dorthin. Daher ist es in der Praxis wie schon in meinem Kommentar zu dem vorherigen Vers immer ein pendeln zwischen Interesse an der Manifestation, spielen damit und in dem sich wieder lösen davon. In diesem Moment wird das Nichtverhaftetsein zu einem Förderer von Leben und Glück. Unabhängig sein von dem woran man sich erfreut oder unter dem man Leidet. TaTPar& PauåZa:YaaTaeGau RNaavETa*ZaYaaSaPaUvR SaMSk==arXaeZaae_NYa )) 18 )) virâma-pratyaya-abhyâsa-pûrvakah samskâra-shesho‘nyah (18) Durch die übung des Anhaltens der Wahrnehmung verbleibt der Rest der zuvor entstandenen subtilen Prägungen dies ist das andere (Samadhi). asamprajnata samadhi Durch ständiges Praktizieren von Gedanken des Loslassens (in Richtung der mentalen Bewegungen), bleibt schließlich nichts als der Gedanke an das Loslassen als überrest eines unterschwelligen Eindrucks zurück.« • virama = aufhören, stoppen, zurücktreten • pratyaya = Ursache, wahrnehmendes Prinzip, Inhat des Bewußtseins, Wahrnehmung • abhyasa = Praxis, übungpractice • purvah = vorausgehen, vorher kommend • samskara = tiefe Eindrücke, tiefe Eindrücke im Unbewußten, tiefste Gewohnheiten, unterschwellige Aktivatoren, verfolgt • shesha = Rest, Verbleibend, all die anderen, etwas was ausgelassen oder nicht gesagt wird, Ausweg, Frist --- wird hier durch die Sandiregeln zu shesho • anyah = das andere Im profanen Leben und den unteren Stufen der Meditation richtet sich das Bewußtsein auf die Aussenwelt aus und der Yogi erlebt das Sein als eine Mischung aus Vermutung, überprüfung, Glück und Individualität. Wir sehen die Welt, stellen Vermutungen über das Gesehene an, überprüfen diese Vermutungen und wir nehmen uns noch als ein abgegrenztes Individium wahr, erleben aber auch schon Zustände der Entgrenzung, der Transzendenz, in welchen wir mit der Ganzheit verschmelzen. Dies ist der im vorherigen Sutra beschriebene Zustand von Samprajnatha Samadhi. In diesem Sutra nun geht es einen Schritt weiter. Dadurch, dass wir den Vorgang der Wahrnehmung anhalten verhindern wir, dass weitere Eindrücke der Außenwelt auf das Bewußtsein einwirken. Das Bewußtsein wird quasi isoliert und nimmt nun nur noch den überrest sämtlicher bisher angesammelter Prägungen in subtiler Form wahr. Durch das Zurückdrängen des Pratyayas, der Ursache für die gedanklichen Bewegungen, verbleiben die in der Vergangenheit erzeugten Samskaras ohne Stimulation liegen. Das Pratyaya ist das geistige Konzept im Ganzen, welches wir wahrnehmen wenn wir etwas wahrnehmen. Dieses setzt sich zusammen aus Samskaras, dies sind Prägungen und Erinnerungen, die in der Vergangenheit erzeugt wurden. Nehmen wir an jemand meditiert und es steigt ein Gedanke auf über seinen Arbeitsplatz, vielleicht über Begebenheiten die sich dort zugetragen haben, oder gar einen Kollegen über den er sich geärgert hat. In dem Moment wo der Yogi erkennt, dass er daran denkt, folgt er nicht wie üblich seinen Gedankenpfad. Er wandert also nicht von Asszoziation zu Assoziation, er drängt vielmerh das gesamte Pratyaya zurück, indem er sein Bewußtsein sofort von der Grundwurzel des Gedankens „Arbeitsplatz und alles was damit zusammenhängt“ ablenkt. In der Praxis können hier verschiedene Techniken als Hilfsmittel dienen. Wie beispielsweie ein Mantra, auf das der Meditierende immer wieder seine Aufmerksamkeit ausrichtet, sobald er merkt, dass Gedanken aufsteigen. Wenn nun also der Yogi die Wahrnehmung in der Aussenwelt anhält, werden nur noch diese Samskaras als Ganzes wahrgenommen. Durch die übung des Anhaltens der Wahrnehmung auch diesen Bewußtseinsinhaltes verbleiben nur die vorhergehenden Eindrücke unstimmuliert. Dies ist das andere Samadhi und transzendiert alle individuellen Samskaras, was in einer einzigen Meditation erreicht werden kann. Wenn man also den Fluß der äußeren Sinneseindrücke unterbricht, dadurch dass man den Blick in der Meditation nach innen wendet erlangt man irgendwann den Punkt, wo keine neuen Eindrücke mehr einfließen und nur noch die subtilen Prägungen aus der Vergangenheit im Geist verweilen. Genaugenommen sind sie immer irgendwie da, auch im Wachbewußtsein, wo sie die normale Erfahrung mit beeinflussen und färben. Für gewöhnlich nehmen Menschen ihre Welt wie durch eine Brille war, deren Gläser alles mit den Samskaras einfärben. Innere Zustände werden dadurch nach aussen projektiert. Dies erklärt warum die meisten Menschen auch immer wieder ähnliche Erfahrungsmuster durchlaufen, wenn es um bestimmte Lebensbereiche geht. Sie projektieren ihre Samskaras in die Wahrnehmung der Aussenwelt und reproduzieren dadurch immer wieder alte Muster. In der Meditation können sich solche Muster manchmal spontan klären. >avPa[TYaYaI ivdehPa[k*==iTal==YaaNaaMa( )) 19 )) bhava pratyayah videha prakriti layanam– 19 Die Vorstellung über eine objektive Existenz macht, dass das körperlose in die verkörperte Welt übergeht. – 19 - • bhava = objektive Existenz, werden • pratyayah = Ursache, Wahrnehmungsprinzip, Inhalt des Verstandes, Wahrnehmung • videha = körperlos, entkörpert • prakriti = schöpferische Ursache, subtilstes Material, Natur, Urmaterie • layanam = überblenden, auflösen in Hier wird im Grunde der Prozess der Inkarnation oder der Materialisation beschrieben. Wenn der Geist eine Vorstellung über eine Existenz hat, dann bewirkt dies, dass diese Vorstellung sich in der Urmaterie ausdrücken will. Der Geist, Brahma träumt und wenn er gefallen an einem bestimmten Zustand findet, dann manifestiert er diesen. Wenn diese Vorstellung Reife erlangt geht sie aus dem körperlosen Bereich in die sichtbare Welt über und drückt sich dort in der Materie aus. Aber Befreiung wird so nicht erlangt, sondern weitere Verkörperung durch Verhaftung an die Eigenschaften und Erscheinungsweisen der Urelemente. Die Vorstellung formt die objektive Welt. Die geistige Vorstellung löst sich quasi in der Materie auf und gibt dieser dadurch eine neue Form. Dieses Sutra weist auf die mystische Brücke zwischen Geist und Materie hin. Sh]öavIYaRSMa*iTaSaMaaiDaPa[jaPaUvRk== wTareZaaMa( )) 20 )) shraddha virya smriti samadhi prajna purvakah itaresham– 20 Die Vorbedingung für andere Leute sind tiefer Glauben, Stärke des Willens, Erinnerung, Samadhi, Weisheit.– 20 • shraddha = unbedingter Glaube, Vertrauen, Sicherheit • virya = Energie, Stärke des Willens • smriti = Erinnerung, beabsichtigtes erinnern • samadhi = geistige Vereinigung • prajna = Weisheit, Einsicht, Superkognitives • purvakah = Vorausgehend, vorher kommen, Vorbedingung • itaresham = von anderen Leuten Shraddha ist der feste Glauben auf dem richtigen Weg zu sein. Gemeint ist nicht der blinde Glaube an etwas, sondern vielmehr eine Art innerer überzeugung. Ein wenig vermischt sich hier die Intuition mit dem Wissen. Virya ist die feste überzeugung sein Ziel zu erreichen. Es geht einher mit geistiger Kraft und Willensstärke. Daraus resultiert die Fähigkeit zielgerichtet zu handeln und effektive Impulse zu setzen. Smriti ist die Erinnerung an die Weisheit aller vorangegangenen. Samadhi ist die geistige Absorbtion und Verschmelzung mit der Wahrheit. Weisheit und Einsicht resultieren aus der Introspektion, die in der Meditation durch das üben der verschiedenen Samadhizustände eingeleitet wird. Diese Fünf sind die Vorbedingungen für andere Leute das Ziel zu erreichen. TaIv[Sa&veGaaNaaMaaSaNNa: )) 21 )) tivra samvega asannah – 21 Der mit überzeugung vorgehende ist ihm sehr schnell nahe - 21 • tivra = schnell • samvega = Impuls, Macht, Kraft, überzeugung, Enthusiasmus • asannah = sehr nahe, dicht, schnell Der mit extremer Kraft vorgehende ist ihm am nächsten. Ma*duMaDYaaiDaMaa}aTvataTaI_iPa ivXIZa: )) 22 )) mridu madhya adhimatra tatah api visheshah – 22 Deshalb wird auch unterschieden in Bezug auf den Grad (des Fortschreitens) zwischen milder, mittlerer und intensiver Kraft. – 22 - • mridu = milde, langsam • madhya = medium, mittel • adhimatra = intensiv, stark • tatah = deshalb • api = also • visheshah = Unterscheidung, Differentierung wRXvrPa[iNaDaNad( va )) 23 )) ishvara pranidhana va – 23 - Oder durch Hingabe an die Quelle, die erste Ursache (Gott) von Allem. (Erlangt man Samadhi) – 23 • ishvara = Schöpfungsquelle, reines Bewußtsein, Purusha, Gott, alles überragender Guru oder Lehrer • pranidhana = Die Gegenwart realisieren, Aufrichtigkeit, Widmung, Hingabe, die Ergebnisse seiner übung opfern • va = oder Gott ist eine spirituelle Urwahrheit, jenseits von irgendwelchen Konfessionen, Religionen oder Kulten. Er ist das Alles in Allem, weder schwarz noch weiß, weder gut noch schlecht, ausgeglichen im Ganzen vereinigt er alle Gegensätze in sich und alles geht aus ihm hervor. Er ist weder männlich noch weiblich, noch ist er beides nicht. Gott ist das Mysterium des manifestierten und des nichtmanifestierten Seins. Kle==Xak==MaR ivPaak==aXaYaErParaMa*Z#: PauåZaivXIZa wRXvr: )) 24 )) klesha karma vipaka ashayaih aparamristah purusha-vishesha ishvara – 24 Ishvara ist ein spezieller Purusha (Geistwesen) unbeeinflußt von den Ansammlungen leidvoller Spannungen, den Früchten der Taten. – 24 • klesha = gefärbt, schmerzlich, geplagt, unrein, die Wurzel klish bedeutet Probleme bereiten • karma = Taten • vipaka = Früchte von, reifen, maturing, ripening • ashayaih = durch die Fortbewegungsmitten, Ruheplatz, Speicher von Spuren, Ansammlungen, Neigungen • aparamristah = unberührt, ungemessen • purusha-vishesha = ein Bewußtsein, ein spezieller oder eindeutiger Purusha • ishvara = schöpferische Quelle, Gott, überragender Guru oder Lehrer Ishvara ist Gott, er ist ein alldurchdringendes Geistwesen, welches unberührt ist von Leid und Freude, da er jenseits aller Gegensätze ist. Ta}a iNariTaXaYa& SavRjbIJaMa( )) 25 )) tatra niratishayam sarvajna bijam– 25 Dort (in Ishvara) ist die grenzenlose Saat der Allwissenheit. -25 - • tatra = dort • niratishayam = grenzenlos • sarvajna = Allwissenheit (sarva = Alles; jna = Wissen) • bijam = Samen Da dieses alldurchdringende Geistwesen Alles in Allem die Quelle von Allem und der Schöpfer von Allem ist, ist in diesem Geistwesen und seiner Realisation auch das Wissen von Allem. In der Tat ist es möglich diesen Zustand der Allwissenheit zu erfahren, allerdings ist er in der Praxis schwer übertragbar auf ein konkretes isoliertes Wissen für den Alltag, da er alles einschließt ohne einem Teil vorrang zuzuweisen. Sa Wza PaUveRZaaMaiPa Gauå: k==ale==NaaNavC^edaTa( )) 26 )) purvesham api guruh kalena anavachchhedat – 26 - Er ist auch der Urlehrer aller vergangenen Lehrer, da er nicht durch Zeit begrenzt ist. – 26 • purvesham = von den Ersten, Vorherigen, Früheren, Antiken • api = auch • guruh = Lehrer • kalena = durch Zeit • anavachchhedat = nicht begrenzt durch, keine Unterbrechung oder Unterteilung, kontinuierlich Gott steht jenseits von Zeit und Raum, jenseits von Werden und Vergehen er ist Ewigkeit. Jeder Konflikt wird dadurch aufgelöst, dass er in der Ewigkeit seine dramatische Bedeutung verliert und vor der absoluten Wahrheit verblasst. Alle vergangenen Lehrer erhilten ihre Lehren direkt von ihm und somit sind alle Lehrer und Yogis durch seinen raum- und zeitlosen Aspekt miteinander verbunden. TaSYa vack : Pa[Nav: )) 27 )) tasya vachakah pranavah – 27 Das Pranava (OM) ist sein Ausdruck – 27 • tasya = von diesem • vachakah = Ausdruck, Anzeiger • pranavah = das Mantra AUM oder OM Das Pranava ist der Urklang, die Urschwingung aus welcher alle anderen hervorgingen. Man kann das Pranava hören, wenn man sich darauf konzentriert. Im Westen haben ärzte eine Krankheit erfunden, die Sie Tinnitus nennen. Im Osten üben Yogis gezielt um diese „Krankheit“ zu bekommen. Als Tinnitus bezeichnet man eine akkustische Wahrnehmung, die laut Schulmedizin keine äußere Quelle hat. Dies ist jedoch ein Irrtum. Versuche haben gezeigt, dass über 90% einer Gruppe von Testpersonen nach 5 Minuten in einem schallisolierten Raum deutlich Pfeifgeräusche wahrnehmen. Diese Pfeifgeräusche sind eine Wahrnehmung des Pranavas, der Urschwingung des Kosmos. ähnlich verhält es sich mit einem Fernseher. Selbst wenn kein Kanal eingestellt ist haben wir dieses zischende Schneebild. Würde der Empfänger gar nichts empfangen, müsste der Bildschirm eigentlich leer bleiben. Auch dies sind Erscheinungen, welche durch den Urklang und die atmosphärischen Resonanzen des Pranavas hervorgerufen werden. Man kann das Pranava zum Objekt seiner Meditation machen. Wenn man noch nicht in der Lage sein sollte es direkt wahrzunehmen, benutzt man in der Regel ein Mantra, welches man stetig wiederholt. Diese stetige Wiederholung eines Mantras wird Japa genannt. TaCcPaSTadQaR>aavNaMa( )) 28 )) tat japah tat artha bhavanam – 28 Seine Wiederholung und in seiner Bedeutung schwelgen– 28 • tat = seine • japah = wiederholte Erinnerung, Rezitation • tat = seine • artha = Bedeutung • bhavanam = mit Empfindung verstehen, absorbieren, schwelgen in In den ersten Schritten einfacher übung, kann der Klang Om als Mantra benutzt werden. Je tiefer man eintauch in die heilige Schwingung, um so mehr beginnt man in seiner Bedeutung zu schwelgen. Dies ist die Stelle im Vater unser, die Luther mit: Dein Neme werde geheiligt übersetzt hat. In Aramäisch: Nethkâdasch schmach: Die heilige Schwingung deines Atems durchdringt uns. Im Klang deines ewigen Namens gehen wir auf. TaTa: PaTYaKceTaNaaiDaGaMaI_YaNtaRaYaa>aavXc )) 29 )) tatah pratyak chetana adhigamah api antaraya abhavash cha - 29 - Davon kommt das erlangen des individuellen Bewußtseins und auch das Verschwinden der Hindernisse – 29 - • tatah = davon • pratyak = individell • chetana = Bewußtsein • adhigamah = Verstehen, Realisation, Erlangen • api = auch • antaraya = von Hindernissen oder Behinderungen • abhavash = Abwesenheit, Verschwinden, Entfernen • cha = und Durch die geistige Verschmelzung mit der Urschwingung, kann man sich quasi von ihr tragen lassen. Oder wie wir in der Bibel lesen: Wenn ihr in mir verbleibt und mein Wort in euch, so könnt ihr bitten worum ihr wollt und es wird euch zuteil werden. VYaaiDaSTYaaNaSa&XaYaPa[Maadal==SYaaivriTaQ}aaiNTadXaRNaal==Bda>aUiMak==TvaNaviSQaTaTvaiNa ictaiv+ae PaaSTae_NtaraYaa )) 30 )) vyadhi styana samshaya pramada alasya avirati bhranti-darshana alabdha-bhumikatva anavasthitatva chitta vikshepa te antarayah – 30 - Krankheit, mentale Trägheit, Zweifel, Gleichgültigkeit, Faulheit, Sinnlichkeit, falsche überzeugungen, Versagen im Erlangen der Stufen der übung, Instabilität, Konzentrationsschwäche, sind die Hindernisse – 30 - • vyadhi = Krankheit • styana = Geistesträgheit, Unwirtschaftlichkeit, Nutzlosigkeit, Aufschub, Stumpfheit • samshaya = Unentschlossenheit, Zweifel • pramada = Nachlässigkeit • alasya = Trägheit, Schwäche • avirati = Sinnlichkeit, wünschen von, Nichtzubehör, die Nichtenthaltung, sich sehnen • bhranti-darshana = falsche Ansichten oder Vorstellung, wirre Philosophien • alabdha-bhumikatva = nicht erreich des Zustandes • anavasthitatva = Instabilität, nach unten gleiten, Unfähigkeit beizubehalten • chitta-vikshepa = Ablenkungen des Verstandes • te = sind sie, diese sind • antarayah = Hindernisse, Behinderungen Hier nun werden die Hindernisse auf dem Weg aufgezählt. Es ist nahezu unumgänglich, dass wir auf unserem Weg phasenweise zumindest der einen oder anderen Behinderung wie hier geschildert begegnen. Auch die vorhergehenden Meister unterlagen ihnen hin und wieder, so das Patanjali uns in diesem Vers vor diesen altbekannten Stolpersteinen warnt. Wenn wir uns dieses Sutra fest einprägen, können wir uns selbst immer wieder wach rütteln, sobald wir einer dieser Behinderungen auf unserem eigenen Weg begegnen. du: %daEMaRNaSYaa°MaeJaYaTvXvaSaPa[XvaSaa iv+ae PaSah>auv: )) 31 )) duhkha daurmanasya angam-ejayatva shvasa prashvasah vikshepa sahabhuva – 31 Sie werden begleitet durch Schmerz, Depression, Unruhe, Störungen der Ein- und Ausatmung. – 31 - • duhkha = Schmerz (geistiger oder körperlicher) • daurmanasya = Traurigkeit, Verzweiflung, Niedergeschlagenheit, Frustration, Tiefstand, Qual • angam-ejayatva = Unruhe, Bewegung, Zittern der Glieder oder des Körpers • shvasa = Einatmung, Inspiration (unregelmäßige Einatmung andeutend) • prashvasah = Ausatmung (unregelmäß9ge Ausatmung andeutend) • vikshepa = Ablenkungen • sahabhuva = Begleiter, Begleitungen, bezieht aufeinander Die neun im vorhergehenden Sutra aufgezählten Fehlhaltungen resultieren in Schmerz, Depression und Störungen der Ein- und Ausatumung. Wobei letzteres, die Störung des Atemrythmuses die Ursache für die drei in diesem Sutra erstgenannten Störungen ist. Hierin sind sich alle Yogaschulen einig, dass durch die Beeinflussung des Atems umgekehrt wiederum, diese Störungen beseitigt werden können. Pranayama, die bewußte Beobachtung und Regulierung des Atems ist ein Schlüssel für die Ruhe des Geistes. TaTPa[iTaZaeDaaQaRMaek==Tatva>YaaSa: )) 32 )) tat pratisedha artham eka tattva abhyasah – 32 Ihre Neutralisation wird erlangt durch Ausrichtung des Bewußtseins auf einen einzigen Erfahrungsinhalt. -32 – • tat = die, ihr • pratisedha = Verhinderung, Verneinung, neutralisierend, Verbot, Entgegensetzen und heben, Abbau auf • artham = für, mit dem Ziel, mit dem Zweck • eka = einzeln, einzig • tattva = Wahrheit, Grundregel, Thema, Wirklichkeit • abhyasah = Praxis, übung, diese Gewohnheit kultivierend MaE}aIk==åHaaMauidTaIPae+aaHaa& Sau%du:%PauaavNaaTaiXctaPa[SaadNaMa( )) 33 )) maitri karuna mudita upekshanam sukha duhka punya apunya vishayanam bhavanatah chitta prasadanam – 33 – Die Klarheit des Geistes kommt durch die Kultivierung von Freundschaft, Barmherzigkeit, Freude und Neutralität gegenüber den Sphären von Vergnügung, Schmerz, Wert beziehungsweise ihrer Gegenteile. -33 • maitri = friendliness, pleasantness, lovingness • karuna = compassion, mercy • mudita = gladness, goodwill • upekshanam = acceptance, equanimity, indifference, disregard, neutrality • sukha = happy, comfortable, joyous • duhka = pain, misery, suffering, sorrow • punya = virtuous, meritorious, benevolent • apunya = non-virtuous, vice, bad, wicked, evil, bad, demerit, non-meritorious, • vishayanam = regarding those subjects, in relation to those objects • bhavanatah = by cultivating habits, by constant reflection, developing attitude, cultivating, impressing on oneself • chitta = mind field, consciousness • prasadanam = purified, clear, serene, pleasant, pacified, undisturbed, peaceful, calm Pa[c^dRNaivDaarHaa>Yaa& va Pa[aHaaSYa )) 34 )) prachchhardana vidharanabhyam va pranayama -34 - Oder durch das sanfte Austossen des Atems durch die Nase und die Kontrolle des Pranas – 34 – • prachchhardana = gentle exhalation through the nostrils • vidharanabhyam = expansion or regulation, control • va = or (or other practices in 1.34-1.39) • pranasya = of prana ivZaYavTaI va Pa[v*itaåTPaNNaa MaNaSa: iSQiTaiNabiNDaNaI )) 35 )) vishayavati va pravritti utpanna manasah sthiti nibandhani – 35 – Oder die Ausrichtung des Bewußtseins auf die sinnliche Wahrnehmungserfahrung läßt eine höhere Wahrnehmung erscheinen welche eine ungestöhrte Ruhe des Geistes festigt. - - 35 - • vishayavati = von der sinnlichen Wahrnehmungserfahrung • va = oder (or other practices in 1.34-1.39) • pravritti = higher perception, activity, inclinations • utpanna = arising, appearing, manifesting • manasah = mind, mental, manas • sthiti = stability, steadiness, stable tranquility, undisturbed calmness • nibandhani = firmly establishes, causes, seals, holds ivXaIk==a va JYaIiTaZMaTaI )) 36 ) vishoka va jyotishmati – 36 - Oder (die Ausrichtung des Bewußtseins) auf den lichtvollen Zustand frei von Leid (führt zur Ruhe des Geistes). – 36 - • vishoka = state free from pain, grief, sorrow, or suffering • va = or (or other practices in 1.34-1.39) • jyotishmati = the bright effulgence, lucidity, luminosity, inner light, supreme or divine light Einfach nur die Vorstellung eines Zustandes frei von allen Spannungen und Leid kann den Geist zur Ruhe führen. Die Ausrichtung des Bewußtseins auf diese Vorstellung alleine kontinuierlich mit tiefer Konzentration vollzogen bewirkt, dass dieser Zustand im Geist erschaffen wird. vITaraGaivZaYa& va ictaMa( )) 37 )) vita raga vishayam va chittam – 37 – Oder (das Ausrichten des Bewußtseins auf) einen Zustand ohne Wunsch nach Sinnesobjekten (führt zur Ruhe des Geistes). • vita = without, devoid of • raga = attachment, desires, attraction • vishayam = objects of the senses • va = or (or other practices in 1.34-1.39) • chittam = of the consciousness of the mind-field In dieser Technik Richtet man das Bewußtsein komplett von allen Sinnesobjekten ab. Sobald ein Gedanke oder eine Vorstellung im Bewußtsein auftauchen drängt man diesen sofort zurück und richtet sein Bewußtsein auf die Leere aus. SvPNaiNad]ajaNaal==MbNa& va )) 38 )) svapna nidra jnana alambanam va – 38 - Oder indem man die Beobachtung von Traum und Schlaf zum Objekt der Konzentration macht (erlangt man Ruhe des Geistes) • svapna = dream (focusing on the nature of the state of dreaming itself, not the content of dreams) • nidra = sleep (focusing on the state itself, as an object) • jnana = knowledge, study, investigation, awareness, observation • alambanam = having as support for attention, object of concentration • va = or (or other practices in 1.34-1.39) So kann selbst der Schlaf als geistige übung genutzt warden. Indem man lernt sich selbst beim Vorgang des Einschlafens und Träumens zu beobachten. YaQaai>aMaTaDYaaNaaüa )) 39 )) yatha abhimata dhyanat va – 39 - Oder durch eine Meditation eigener Wahl (erlangt man Ruhe des Geistes) - 39 - • yatha = as, according to • abhimata = one's own predisposition, choice, desire, want, like, familiarity, agreeableness • dhyanat = meditate on • va = or (or other practices above in sutras 1.34-1.39) ParMaaaJaaTaSYaev Ma<aaRSaaiNaaRvTak==aR )) 43 )) smriti pari-shuddhau svarupa-shunya iva artha-matra nirbhasa nirvitarka – 43 - Nach der Reinigung von Erinnerungen, seiner eigenen Natur entleert, erscheint nur das Objekt ohne grobe Gedanken. – 43 - • smriti = of memory • pari-shuddhau = upon purification (pari = upon; shuddhau = purification) • svarupa-shunya = devoid of its own nature (shunya = devoid; svarupa = its own nature) • iva = as it were • artha-matra = only the object (artha = object; matra = only) • nirbhasa = illuminative, shining brightly • nirvitarka = without a gross thought (nir = without; vitarka = gross thought) Die Samskaras (alte Prägungen) bewirken, dass sich das Bewußtsein immer wieder in ihnen verfängt. Diesen Vorgang nennen wir Erinnerung oder Vision, denn alle Prägungen kommen entweder aus der Vergangenheit oder sind geistige Konstrukte für die Zukunft. Wir lernen unsere Welt gewissermaßen und alle Erfahrungen, die wir mit einem Objektmodell gemacht haben bleiben als Erinnerung und beeinflussen normalerweise zukünftige Erfahrungen mit dem gleichen Objektmodell. Nehmen wir an jemand ist in seiner Kindheit in eine Rosenhecke gestürzt und hat sich an all den vielen Dornen verletzt. Es kann dann sein, dass er eine Abneigung gegen Rosen entwickelt, weil dieser Augenblick ihn geprägt hat. Sieht er zukünftig Rosen, so kann ihn dies unterschwellig an die alte Prägung erinnern. Häufig sind sie verknüpft mit bestimmten nervlichen Schaltkreisen die biochemische Veränderungen und damit verbundene emotionalen Erfahrungen auslösen. Die Erinnerungen bewirken dadurch eine Beeinflussung des Bewußtseins. Wenn man beispielsweise an eine vergangene Erfahrung denkt und diese einen glücklich oder traurig macht. In so einem Fall beziehen sich alle Reaktionen nicht auf das Jetzt, sondern auf die Konfiguration der Samskaras, die durch vergangene Einflüsse entstanden. Sie sind ein wenig wie Momentaufnahmen der Vergangenheit. Wenn das Bewußtsein in ihnen schwelgt, dann reagiert es nicht gemäß der Gegenwart, sondern läßt die Konfiguration eines vergangenen Augenblicks quasi in konservierter Form wieder aufleben. Hier liegt auch der Schlüssel zu Talismanmagie. Der Aufspeicherung der Energien bestimmter astrologischer Konstellationen in Amuletten und Gegenständen. Bestimmte Konfigurationen werden quasi in bestimmten Gegenständen gebannt. Ein Prinzip was auch Otto Normal Verbraucher aktiviert, wenn er sich Urlaubsbilder anschaut. Häufig kommt es auch zu überlagerungen der tatsächlichen gegenwärtigen Erfahrung mit den Samskaras, so dass man quasi wie durch eine gefärbte Brille die Gegenwart durch die Vergangenheit betrachtet. Wenn die Samskaras jedoch aufgearbeitet sind und das Bewußtsein erkennt, dass diese Prägungen nicht mehr real, sondern nur Phantome der Vergangenheit sind, dann löst sich das Bewußtsein von alten Identifikationen, die auch zu den Samskraras gehören. Wie die Vorstellung so oder so zu sein, diese oder andere Eigenschaften zu haben. In dieser Klarheit, wo das Bewußtsein sozusagen völlig von alten Prägungen befreit ist, ist es ihm möglich das Objekt seiner Meditation in reiner Form zu erfahren und zu verstehen, wie es wirklich ist, ohne es durch Verhaftung an die eigene Identität zu verzerren. WtaYaEv Saivcara iNaaRvcara c Sau+MaivZaYaa VYaa:YaaTaa )) 44 )) etaya eva savichara nirvichara cha sukshma vishaya vyakhyata -44- Dadurch wird auch die Begleitung (der Verwandlung) von geprüften Gedanken und denen ohne Prüfung, das Subtile und das Objekt beschrieben. - 44 – • etaya = by this • eva = also • savichara = accompanied by subtle thoughts (sa = with; vichara = subtle thoughts) • nirvichara = devoid of subtle thoughts (nir = without; vichara = subtle thoughts) • cha = and • sukshma-vishaya = having subtle for their objects (sukshma = subtle; vishaya = objects) • vyakhyata = are explained, described, defined SaU+MaivZaYaTVa& jail==°PaYaRvSaaNaMa( )) 45 )) sukshma vishayatvam cha alinga paryavasanam – 45 – Subtil, in der Objekthaftigkeit und sich ausdehnend bis in den Bereich des Unmanifestierten. – 45 - • sukshma = subtle • vishayatvam = of having as objects • cha = and • alinga = without a mark or trace, unmanifest prakriti (subtlest matter) • paryavasanam = extending up to, ending at Dies ist wirklich ein mystischer Vers. Er sagt uns, dass sich alle Verwandlungen vom Bereich des Unmanifesten über das Subtile bis hin zur groben Objekthaftigkeit erstrecken, so dass selbst das Nichtexistente als Potential vorhanden ist. Taa Wv SabIj: SaMaaiDa: )) 46 )) tah eva sabijah samadhih – 46 - Sie sind in der Tat die gesähte spirituelle Absorbtion Nur diese (Verwandlungen des Geistes) sind mit Saat. -46- • tah = these, those, they • eva = only • sabijah = with seed, seeded • samadhih = deep absorption of meditation, entasy iNaaRvjarvEXaarDa_DyaaTMaPa[Saad: )) 47 )) nirvichara vaisharadye adhyatma prasadah – 47 - Entleert von subtilen Gedanken im ungestörten Fluß das wahre Selbst betrachtend tritt Erleuchtung ein. - 47 - • nirvichara = devoid of subtle thoughts (nir = without; vichara = subtle thoughts) • vaisharadye = with undisturbed flow, • adhyatma = spiritual, regarding the atman or true Self • prasadah = purity, luminosity, illumination, clearness }aUTa&Qara Ta}a Pa[ja )) 48 )) ritambhara tatra prajna – 48- Die höchste Erkenntnis dort ist (reines) Wissen. – 48 - • ritambhara = filled with higher truth, essence, supreme cognition • tatra = there • prajna = knowledge, wisdom, insight +auTaaNauMaaNaPa[ja>YaaMaNYaivZaYaa ivXIZaaQaRTvaTa( )]) 46 )) shruta anumana prajnabhyam anya-vishaya vishesha-arthatvat – 49 – Das Wissen, welches von schriftlicher überlieferung (Behauptung) und Schlussfolgerung kommt hat andere Objekte (als Grundlage), als das welches sich auf ein spezielles Objekt bezieht. • Shr uta = testimony, heard, learned, from tradition • anumana = inference, reasoning, deduction • prajnabhyam = from those kinds of knowledge • anya-vishaya = having different objects (anya = different; vishaya = objects, fields, realms, domains) • vishesha-arthatvat = relating to particular objects, purpose, or significance Wenn man über eine Sache beispielsweise nur vom Hörensagen weiß ist dies ein anderes Wissen, als wenn ich diese Sache wirklich selbst sehe oder erfahre. Wenn Jemand beispielsweise lange über die Schönheit der Jolibama-Blume gehört hat, er aber nie eine gesehen hat, so entsteht in seinem Geist eine gewisse Vorstellung der Jolibama-Blume. Diese Vorstellung wird in seinem Geist mit dem Begriff Jolibama-Blume verknüpft. Die Grundlage dieser Vorstellung ist jedoch lediglich die Erzählung und das was er über diese Blume gehört oder gelesen hat, nicht die Jolibama-Blume selbst. Ebenso kann man den Geschmack einer Speise beschreiben. Es schmeckt süß oder sauer, salzig oder fade. All dies sind Worte, die demjenigen zu dem sie kommuniziert werden zwar eine gewisse grobe Grundvorstellung vermitteln. Dennoch wird einzig der Augenblick, wenn jemand die Speise selbst kostet ihm eine Erfahrung vermitteln über den Geschmack. Diese reale Erfahrung des Geschmackes ist dann etwas anderes als die zuvor übermittelte mentale Vorstellung. Sie ist viel differenzierter und authentisch. ähnlich ist es mit der Erleuchtung. Für Viele ist dies nur ein abstrakter, nichtssagender Begriff. Menschen auf dem spirituellen Pfad hingegen, haben dem Grad ihrer Entwicklung entsprechend schon bestimmte Vorstellungen, welche Sie mit dem Begriff Erleuchtung verbinden. Doch all diese Dinge sind Begriffe für sich, die eigentlich nichts mit der tatsächlichen Erfahrung zu tun haben, welche ein Yogi macht, wenn er wirklich den Zustand der Erleuchtung erfährt, die jenseits der Welt der Worte ist. TaJJa Sa&Sk==arI_NYaSa&Sk==arPa[iTabNDaI )) 50 )) tajjah samskarah anya samskara paribandhi – 50 - Die aus dieser (neuen) Erkenntnis gewonnenen Eindrücke hemmen die alten Eindrücke. – 50 Die durch diese der absoluten Wahrheitsebene angeschlossenen Eindrücke löschen alte nicht mehr gültige Eindrücke aus. Dadurch, dass die wahre Erkenntnis im Bewußtsein aufblüht, findet man keine Verwendung mehr für die alten Krücken aus denen man sich vorher seine Realität zusammengeglaubt hat. Wenn der Mensch aus dem Beispiel für das letzte Sutra das erste Mal wirklich eine Jolibama-Blume sieht, wird diese alte Erkenntnis über den Begriff Jolibama-Blume durch die tatsächliche Erfahrung einer Jolibama-Blume ersetzt werden. Ebenso wird der Feinschmecker aus dem zweiten Beispiel fortan den Geschmack der Speise, die er real gekostet hat mit dieser in Verbindung bringen und die Umschreibungen, die er vorher dazu gehört hat nicht mehr an erste Stelle setzen. • tajjah = arising or producing from that • samskarah = deep impressions, residual imprints, activating imprints • anya = of other • samskara = deep impressions, residual imprints, activating imprints • paribandhi = impeding, obstructing, reducing, opposing, inhibiting TaSYaaiPa iNarIDae SavRiNarIDaaiNanbIRJa: SaMaaiDa: )) 51 )) tasya api nirodhe sarva nirodhat nirbijah samadhih – 51 - Durch übung in der Zurückhaltung dessen was alles zurück hält erlangt man Nirbijah Samadhi. Durch die Kontrolle der Kontrolle erlangt man die keimlose Versenkung. • tasya = of that sri • api = too • nirodhe = receding, mastery, coordination, control, regulation, setting aside of • sarva = of all • nirodhat = through nirodhah (nirodhah = control, regulation, channeling, mastery, integration, coordination, understanding, stilling, quieting, setting aside of) • nirbijah = without a seed, seedless (nir = without; bijah = seed) • samadhih = deep absorption of meditation, entasy shri Solange das Bewußtsein damit beschäftigt ist die auftauchenden Gedanken und Sinnesobjekte unter Kontrolle zu bringen ist es noch nicht losgelöst. Da die Beschäftigung mit diesem Vorgang das Bewußtsein noch von einer totalen Entspannung abhält. In dem Moment wo das Bewußtsein die absolute Kontrolle über den geistigen Mechanismus der Kontrolle über Gedanken und Sinnesobjekte an sich erlangt wird die keimlose Versenkung erreicht, da das Bewußtsein damit frei wird von jeglicher Tätigkeit. wiTa iSh]PaaTaHJ=Lae Saa&:YaPa[vcNae YaaeGawaaS}ae Pa[QaMa SaMaaiDaPad SaMaaPTa )) 9 ))